Zum Inhalt springen
Prager Burg, Tschechische Republik
© stock.adobe.com I ecstk22

Konjunktur-„Geisterfahrer“ vor politischem Kurswechsel

Trotz Wirtschaftswachstum blickt Tschechien nach der Parlamentswahl in eine unsichere Zukunft – nicht nur politisch.

Lesedauer: 2 Minuten

Aktualisiert am 14.10.2025

Tschechien, quo vadis? So einfach lässt sich das nach der Parlamentswahl vergangene Woche im nördlichen Nachbarland nicht beantworten. Schuld daran ist nicht zuletzt der Wahlsieger. Die 2011 von Andrej Babiš gegründete Bewegung ANO – ein Akronym für „Allianz unzufriedener Bürger“ – erreichte 34,5 Prozent der Stimmen und lag damit deutlich vor der Gruppierung Spolu („Gemeinsam“) des bisher mit einer liberal-konservativen Koalition regierenden Premierministers Petr Fiala. Und jetzt?

Hinweis
14,9 Mrd. € betrugen 2024 die österreichischen Exporte nach Tschechien.

Eine Minderheitsregierung von Ex-Premier Babiš (2017–2021) steht ebenso im Raum wie eine Koalition der ANO mit zwei klar europa-aversen Parteien: den Rechtsnationalen, die ein Referendum über den Austritt aus der EU anpeilen, beziehungsweise der Autofahrerpartei Motoristé, die vor allem den Green Deal kippen möchte. Die ANO selbst lässt sich in der landläufigen Rechts-Links-Matrix jedenfalls nur schwer verorten. Babiš politisches Tun bleibt widersprüchlich. Einerseits sprach er als Regierungschef in der damaligen Koalition mit den Sozialdemokraten durch eine ausgeprägte Sozialpolitik eine eher links orientierte Wählerschaft an. Andererseits wird ihm eine Nähe zum linksnationalen slowakischen Amtskollegen Robert Fico attestiert. Gleichzeitig gründete er 2024 zusammen mit FPÖ-Chef Herbert Kickl und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán die Allianz „Patrioten für Europa“, die sich im Europäischen Parlament als rechtskonservatives Sprachrohr gegen Migration, den Green Deal und die Machtkonzentration in Brüssel positioniert hat.

Prager Sonnenuntergang von der Letna aus
© stock.adobe.com I Kennymax In Prag wird es nach der Parlamentswahl einen politischen Kurswechsel geben.

Tschechien selbst hat sich wirtschaftlich zuletzt auf einem soliden Wachstumskurs eingespurt. Mit einem Plus von zwei Prozent liegt man über dem EU-Schnitt, mit einer Arbeitslosenquote von 2,7 Prozent deutlich darunter, die Inflationsrate ist zuletzt auf 2,3 Prozent gesunken. Als tragende Säule dieser Entwicklung hat sich die Automobilindustrie etabliert. Sie sorgt für neun Prozent des BIP und mehr als ein Viertel der Exporte. Neben der nationalen, zum Volkswagenkonzern gehörenden Traditionsmarke Skoda betreiben unter anderem Hyundai aus Südkorea und Toyota aus Japan große Fabriken. Tschechien gilt damit in der schrumpfenden europäischen Autoindustrie als konjunktureller „Geisterfahrer“: Nur hier hat die Fahrzeugproduktion zuletzt zugelegt. Allein im vergangenen Jahr rollten 1,4 Millionen Pkw von den Fließbändern. Ein Rekordwert.

Hinweis
1800 österreichische Unternehmen sind in Tschechien aktiv.

Die boomende Branche bietet auch heimischen Unternehmen Möglichkeiten. Ausloten lassen sie sich am 22. Oktober bei einer Konferenz in Brünn. Neben Zulieferbetrieben werden auch die wichtigsten OEMs aus Tschechien und der Slowakei erwartet.

Gesamtwirtschaftlich bleibt das Nicht-Euro-Land Tschechien für Österreich einer der wichtigsten Handelspartner – beim Export auf Platz 8, importseitig auf dem vierten Platz.  Ein Drittel der Ausfuhren entfällt dabei allein auf die Warengruppe „Maschinen und Fahrzeuge“, auch bei den Importen ist dieses Segment führend. 

Es ist ein Markt, auf den unruhige Zeiten zukommen. „Die tschechische Wirtschaft verliert aufgrund steigender Löhne ihre Wettbewerbsfähigkeit“, warnt man im WKO-Außenwirtschafts­center in Prag. Zudem schwebt über Wahlgewinner Andrej Babiš das Damoklesschwert einer Verurteilung. Erst im Sommer hatte ein Gericht einen Freispruch aufgehoben. Es geht um den mutmaßlichen Missbrauch von EU-Subventionen für ein Wellnessresort. Babiš, milliardenschwerer Eigentümer des  Agrar- und Lebensmittelkonzerns Agrofert, besitzt ein weitverzweigtes Imperium aus mehr als 250 Firmen.