Außerfern-Allgäu-Link: Großer Schienen-Bedarf
Zwischen Bayern und Tirol beziehungsweise dem Allgäu und dem Außerfern bestehen nicht nur dynamische Wirtschaftsbeziehungen sondern auch ganz konkrete Bedarfe, Güter auf der Schiene transportieren zu können. Im Rahmen eines Euregio via salina-Projektes wurde mit dem fundierten Erkennen des Potenzials ein erster wichtiger Schritt in Richtung „Außerfern-Allgäu-Link“ gesetzt. Zahlreiche Güter könnten von der Straße auf die Schiene verlagert werden. „Nun gilt es, das Potenzial zu heben“, sagt Wolfgang Winkler, Leiter der WK-Bezirksstelle Reutte.
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Wird in Europa über neue Schienenwege für Gütertransporte gesprochen, sind es meist die richtig großen Projekte, deren Bauzeiten viel Zeit schenken, um durchaus auch hitzig darüber zu diskutieren. Dass der Brenner Basistunnel (BBT) in dem Zusammenhang ein Gigant ist, der nicht nur aufgrund seines Superlativs als dann längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt, viele Blicke und noch mehr Ressourcen auf sich zieht, ist logisch. „In der Diskussion um die alpenquerenden Gütertransporte geraten oftmals die kurzlaufenden Verkehre zwischen angrenzenden und benachbarten Regionen in den Hintergrund“, heißt es dazu in der Presseaussendung zum Euregio via salina-Projekt „Außerfern-Allgäu-Link“, mit der Ende August 2024 der Blick weg vom Giganten, hin zur vergleichsweise kleinen und für ernsthaften Gütertransport noch nicht ausgestatteten Außerfernbahn gelenkt wurde.
Die Verbindung zwischen Kempten im Allgäu und dem Tiroler Inntal hat so ihre Geschichte im Schatten der Giganten. Ursprünglich - also in den Geburtsstunden der Eisenbahnen in Deutschland, Österreich und überall – war eine Fernbahn zwischen Imst, Reutte und Kempten – über den Fernpass – angedacht worden. Eigentlich ein kluges Projekt, um das Allgäu wie das Außerfern mit dem Inntal und von dort aus dem östlichen, südlichen und westlichen Rest der Welt zu verbinden. Doch dann wurde – im Jahr 1884 – die Arlbergbahn eröffnet und es war die schlichte Angst vor Konkurrenz, dass die Fernbahn erst blockiert und in weiterer Folge gänzlich verhindert wurde.
Tja, der Fernpass ist die Hürde geblieben, über die Güter mühsam auf der Straße transportiert werden mussten. Und auch der Wirtschaftsstandort Kempten blieb schienentechnisch im stiefmütterlichen Abseits, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts sukzessive die Bahnstrecke von Kempten nach Reutte und von Reutte nach Garmisch realisiert wurde, von wo es sich in relativer Windeseile nach München und gänzlich ohne Hast und Eile übers Seefelder Plateau nach Innsbruck reisen lässt.
Bewegendes Engagement
Mit dem Euregio-Projekt „Außerfern-Allgäu-Link“ wurde der immer mal wieder stockenden und oft auch nicht allzu verlässlichen Zugverbindung zwischen den beiden Grenzregionen ein beachtlicher Defibrillator angesetzt. „Gerade diese kurzlaufenden Transporte und die Zuliefertransporte zu Verkehrsknotenpunkten sind für die regionale und heimische Wirtschaft und deren Wertschöpfung von großer Bedeutung. Die beiden Projektpartner Truck to Train Service GmbH und Logistik-Kompetenz-Zentrum (LKZ) Prien haben sich daher zum Ziel gesetzt, das Potenzial zu ermitteln, in welchem Umfang sich Gütertransporte zwischen dem Außerfern und dem Allgäu von der Straße auf die Schiene verlagern lassen würden“, wurde vor gut einem Jahr das Ziel des Projektes auf den Punkt gebracht, das Ende Juli 2025 abgeschlossen werden konnte. Vielversprechend, wie alle Seiten betonen.
Der Reiz des bewegenden Engagements liegt schließlich nicht nur im funktionierenden und aufgrund der Grenzüberschreitung auch von der EU geförderten Zusammenspiel im Grenzgebiet. Für diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Raum Allgäu-Außerfern-Vorarlberg ist die Euregio via salina zuständig.
Und eines ihrer Schwerpunktthemen ist die nachhaltige Mobilität, weswegen sie das Außerfern-Allgäu-Link-Projekt auch im Rahmen des INTERREG-Programms 2021–2027 mit dem Fokus auf Verkehrsinfrastruktur und grenzüberschreitender Mobilität zur Entlastung der Straße zugunsten der Schiene unterstützte.
Der Reiz des bewegenden Engagements liegt aber vor allem im Ergebnis. „Die Außerfernbahn hat totales Potenzial. Die Wirtschaft wäre gewillt, von der Straße auf die Schiene umzusteigen“, sagt Wolfgang Winkler, Leiter der WK Bezirksstelle Reutte, die sich als „kleine“ Projektpartnerin mit ihrem Know-how eingebracht und als Multiplikatorin wie Übersetzerin für die Außerferner Wirtschaft daran mitgearbeitet hat.
Steter Tropfen
Winkler weiß, wie wichtig eine Anbindung der Unternehmen an überregionale Bahnverkehrsknotenpunkte beziehungsweise Terminals wäre. „Die Verkehrsproblematik ist bekannt“, so Winkler, „und alles, was auf die Schiene verlagert werden kann, kann nur positiv gesehen werden – das ist eh klar.“
Eh klar, aber nicht einfach. So erzählt Winkler beispielsweise von der zur Eurogast-Gruppe zählenden Speckbacher Handels GmbH, deren Großhandels-Sitz dem Reuttener Bahnhof sehr nahe ist. Stückgut ohne Ablaufdatum, bei dem es egal ist, wann es kommt, ist prädestiniert für die Schiene. Das Unternehmen hat auch eine Gleisanbindung zum beziehungsweise vom Bahnhof Reutte. „Aber der Bahnhof Reutte hat keine Verschublok, die die Waggons zum Unternehmen und wieder zum Bahnhof zieht“, nennt Winkler eine der Verlagerungs-Hürden, die mal klein erscheinen, mal größer.
Erwähnenswert ist in dem Zusammenhang, dass die Allgäuer Grenzgemeinde Pfronten die letzten Schienenmeter vom Vilser Ortsteil Schönbichl, der aus Zug-Sicht nach wie vor ein spürbarer Grenzübergang ist, hin zum ersten Pfrontener Bahnhof in Pfronten-Steinach auf eigene Kosten elektrifiziert hat. So können die österreichischen Züge wenigstens bis zum ersten Bahnhof in Pfronten fahren, denn die Bahnstrecke zwischen Pfronten und Kempten ist nach wie vor dieselbetrieben. Das klingt nicht nur antiquiert, das ist es auch.
Doch Bahnprojekte in vermeintlichen Peripherien sind mühsam umzusetzen und langfristiges Denken ist dabei ein Urgesetz.
Herausforderung
Langfristig zu denken, steckt jedenfalls in der unternehmerischen DNA und so verwundert nicht, dass die Idee für den Außerfern-Allgäu-Link aus Anfragen der Wirtschaft der bayerisch-tirolerischen Großregion entstanden ist.
Im ersten Schritt ist es nun darum gegangen, die bahntechnisch durchaus herausfordernde Strecke zwischen Innsbruck und Kempten unter die Schienenpotenzial-Lupe zu nehmen. „Eine Bündelung von Einzeltransporten zu größeren Einheiten verbunden mit deren Verlagerung auf die Schiene und damit eine Ertüchtigung der Bahninfrastruktur in dieser Region könnte einen wesentlichen Beitrag zur Resilienz-Steigerung in der gesamten Lieferkette sowie zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten“, sagt Petra Seebauer, Geschäftsführerin des Logistik-Kompetenz-Zentrums mit Sitz in Prien am Chiemsee, wo sich seit 1998 umfassendes Logistik-Know-how ballt und mit Hilfe eines breit gefächerten Netzwerkes logistische Herausforderungen gemeistert werden.
Eine Herausforderung ist die Außerfernbahn jedenfalls. Aber sie ist auch eine große Chance. Und die Tatsache, dass die Infrastruktur im Wesentlichen vorhanden ist, ist ein starker Bonus auf Seiten der Befürworter:innen. „Die Bedarfe sind da und es soll natürlich weitergehen“, sieht Wolfgang Winkler im Ergebnis des ersten von der EU geförderten Projektes den Auftrag für weitere Meilensteine und betont: „Es ist gut, dass ein regionaler Ansatz in die Diskussion gebracht wurde, um die Produkte aus dem Außerfern in die ganze Welt hinaus zu bringen.“ Hinaus und hinein.