Schritt für Schritt zu noch besserem Service
Mit Bodenhaftung und goßer unternehmerischer Erfahrung führt Martha Schultz die Wirtschaftskammer Österreich als geschäftsführende Vizepräsidentin durch einen umfassenden Reformprozess – mit dem Ziel, mehr Klarheit, mehr Nutzen und mehr Nähe für die Betriebe zu schaffen.
Lesedauer: 6 Minuten
Frau Vizepräsidentin, Sie haben in einer herausfordernden Phase die Präsidentschaft übernommen. Wie geht es Ihnen mit dieser Verantwortung gerade auch mit Blick auf die Unternehmerinnen und Unternehmer in Tirol, deren Anliegen Sie seit vielen Jahren kennen?
Ich spüre die Verantwortung sehr deutlich – und ich spüre genauso, dass mir gerade meineTiroler Wurzeln Kraft in dieser Phase geben. Ich bin Unternehmerin am Land, kenne das Auf und Ab der Saisonen, die Sorge um Mitarbeiter:innen, Investitionen und Finanzierung und weiß, welche Erwartungen es an eine Interessenvertretung gibt, die in schwierigen Zeiten nicht wegschaut, sondern anpackt. Als langjährige Funktionärin und frühere Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Tirol habe ich viele Betriebe persönlich kennengelernt – vom Ein-Personen-Unternehmen bis zum Industriebetrieb. Deren Vertrauen ist für mich Verpflichtung.
Sie führen jetzt den Reformprozess an. Was war für Sie der Moment, an dem klar wurde, dass es jetzt tiefgreifende Veränderungen braucht – und worum geht es in diesem Reformprozess im Kern?
Die vergangenen Wochen waren ein deutliches Signal. Rückmeldungen aus den Betrieben und die öffentliche Diskussion haben gezeigt: Die Wirtschaftskammer muss sich in einigen Bereichen neu aufstellen und noch deutlicher machen, wofür sie steht und welchen konkreten Nutzen sie schafft. Im Kern geht es darum, die Kammerorganisation konsequent auf ihren Auftrag auszurichten: die Interessen der Betriebe zu vertreten, konkrete Leistungen und Services zu erbringen und die Rahmenbedingungen am Standort so mitzugestalten, dass unsere Mitglieder erfolgreich in die Zukunft starten können. Mein Anspruch ist, dass die Wirtschaftskammer mehr denn je das Servicecenter für Unternehmen in ganz Österreich ist. Wenn in einem Betrieb ein Problem oder eine Frage auftaucht, dann soll der erste Gedanke sein: „Ich rufe mein Servicecenter an.“ Dieses Selbstverständnis als erste Adresse für unternehmerische Anliegen ist der Maßstab, an dem wir uns messen lassen wollen. Dafür möchte ich Strukturen überprüfen, Abläufe vereinfachen, als starke Interessenvertretung und Service- und Sozialpartnerorganisation schärfen. Die gesetzliche Mitgliedschaft bleibt für mich dabei ein wichtiger Stabilitätsfaktor, weil sie sicherstellt, dass Betriebe unabhängig von ihrer Größe oder Finanzkraft eine starke Stimme haben.
Gerade als Tirolerin ist mir die regionale Verankerung ein Herzensanliegen. Ein Unternehmen im hinteren Tal braucht eine Ansprechperson, die die Situation vor Ort kennt und erreichbar ist.
Sie haben angekündigt, dass im Reformprozess „nichts tabu bleibt“. In welchen Bereichen sehen Sie persönlich das größte Potenzial, Strukturen und Abläufe zu verbessern?
Wir werden uns sehr genau ansehen, wo wir schlanker und schneller werden können, ohne an Schlagkraft zu verlieren. Wie in einem Unternehmen gilt: Alles evaluieren, abwägen und dann wohlüberlegt, aber entschlossen – im Interesse der österreichischen Unternehmen – handeln. Wo überschneiden sich Aufgaben? Welche Synergien kann man nutzen, wo reichen gemeinsame Strukturen? Das betrifft die Organisation zwischen Bundes- und Länderebene ebenso wie Fachverbände und Querschnittsbereiche. Ziel ist, Unterstützungsleistungen zu bündeln und im Hintergrund effizienter zu werden, damit wir im Vordergrund – bei Beratung, Service und Interessenvertretung – mehr Ressourcen für die Betriebe haben.
Sie waren viele Jahre Vizepräsidentin in der WK Tirol und kennen die Erwartungen der Betriebe sehr genau. Diese wünschen sich mehr Klarheit über das Leistungsangebot der Kammer. Wie kann dieses Angebot künftig in ganz Österreich klarer kommuniziert werden?
Wir wissen, dass die Erwartungen weiter gestiegen sind – und wir nehmen das sehr ernst. Die Kammer bietet ein sehr breites Spektrum an Leistungen: vom WIFI bis zum Gründerservice, von Exportberatung bis zur Interessenvertretung. Rückmeldungen zeigen aber: Viele Unternehmen kennen nur Ausschnitte davon. Wir müssen unser Angebot daher stärker aus Sicht der Mitgliedsbetriebe denken. Und wir müssen sichtbarer und spürbarer machen, welchen konkreten Nutzen wir schaffen. Unser Angebot muss einfacher nachvollziehbar sein. Ein Betrieb in Tirol sollte rasch erkennen: Wenn ich gründe, investiere, exportiere oder eine Nachfolge plane – hier ist mein Einstieg, das ist meine Ansprechperson. In Tirol haben wir begonnen, Leistungen entlang der Lebensphasen und typischen Fragestellungen von Betrieben zu ordnen. Das ist ein Modell, das sich gut auf Österreich übertragen lässt, ergänzt durch eine gemeinsame Kommunikationslinie aller Länderkammern und moderne digitale Zugänge.
Wir werden uns sehr genau ansehen, wo wir schlanker und schneller werden können, ohne an Schlagkraft zu verlieren.
Ein zentraler Punkt ist die Nähe zu den Mitgliedsbetrieben – besonders in den Regionen. Wie kann diese regionale Nähe erhalten bleiben, wenn Strukturen gleichzeitig effizienter und schlanker werden sollen?
Gerade als Tirolerin ist mir die regionale Verankerung ein Herzensanliegen. Ein Unternehmen im hinteren Tal braucht eine Ansprechperson, die die Situation vor Ort kennt und erreichbar ist. Effizienz bedeutet für mich nicht, Strukturen aus der Fläche abzuziehen, sondern sie klüger zu organisieren: Etwa, indem man administrative Aufgaben im Hintergrund effizienter gestaltet, digitale Angebote ausbaut und gleichzeitig die regionalen Ansprechpartner:innen als „erste Adresse“ für die Betriebe stärkt.
In Tirol läuft seit April ein umfassender Kundenzentrierungsprozess. Was überzeugt Sie an diesem Ansatz, und welche Elemente davon können aus Ihrer Sicht für die österreichweite Reform richtungsweisend sein?
Tirol hat früh begonnen, den Weg der Mitglieder durch die Kammer aus ihrer Perspektive zu betrachten: Welche Services und Unterstützung brauchen sie wirklich und was erleichtert ihnen die tägliche Arbeit. Diese Erkenntnisse werden in Tirol jetzt Schritt für Schritt in ein besseres Service umgesetzt. Mich überzeugt, dass dieser Prozess nicht bei Organigrammen, sondern bei konkreten Erfahrungen der Unternehmen ansetzt. Es wurden Gespräche mit Betrieben geführt, Serviceketten analysiert und erste Verbesserungen auf den Weg gebracht. Für die österreichweite Reform ist dieser Tiroler Weg eine wertvolle Erfahrung. Kundenzentrierung heißt, die Strukturen so auszurichten, dass sie für die Mitglieder funktionieren – nicht umgekehrt.
Sie haben betont, wie wichtig gute Beratung, Weiterbildung und klare Services sind. Welche Bereiche sollen aus Ihrer Sicht künftig besonders gestärkt werden, damit die Kammer als Servicepartner noch wirkungsvoller wird?
Ich sehe drei Schwerpunkte: Erstens die Beratung rund um Gründung, Veränderung und Übergabe. Ob Start-up oder Familienbetrieb, ob Tourismus, Handwerksbetrieb oder Industrieunternehmen: in Phasen der Veränderung braucht es verlässliche Partner. Zweitens die Aus- und Weiterbildung. Das WIFI, die Lehrlingsausbildung und Meisterprüfungen sind Markenzeichen der Kammer. In einem Land wie Tirol, das stark vom Tourismus, vom Gewerbe und von technischen Berufen lebt, ist Qualifikation der Schlüssel. Drittens eine schlagkräftige Interessenvertretung, die nicht nur in Wien, sondern auch in Brüssel gehört wird – bei wichtigen Themen wie Bürokratieabbau, Energie, Steuern oder Arbeitsmarkt.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Welche Wirtschaftskammer braucht Österreich im Jahr 2030 und woran sollen die Mitglieder erkennen, dass dieser Reformprozess erfolgreich war?
2030 brauchen wir eine Wirtschaftskammer, die von den Betrieben als klare, moderne und verlässliche Partnerin wahrgenommen wird. Eine Organisation, bei der die Mitglieder wissen: Ich bekomme rasche, punktgenaue Unterstützung, ich werde vertreten und serviciert, und ich verstehe, wie Entscheidungen zustande kommen. Erfolgreich war der Reformprozess dann, wenn ein Tiroler Unternehmen – egal ob im Zillertal, im Oberland oder in Osttirol – und ein Betrieb in einem anderen Bundesland ähnliche Erfahrungen machen: Sie finden rasch die passende Ansprechperson, die Wege sind nachvollziehbar, die Leistungen gut erklärt. Wenn die Mitglieder 2030 sagen: „Die Kammer ist näher an unseren Anliegen dran und arbeitet klarer und transparenter als früher“, dann haben wir unser Ziel
erreicht.