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ADEG Krummnussbaum,
© ADEG Krummnussbaum

Die Lebensader gleich ums Eck

Nahversorgung hält Dörfer lebendig, sichert Jobs und bringt Leben ins Ortszentrum. Bei einer Bustour der Wirtschaftskammer NÖ wurden erfolgreiche Projekte besucht und gezeigt, wie regionale Ideen funktionieren.

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 25.09.2025

Die Bremsen quietschen leise, als der Bus mit Gemeindevertretern, Planern und Händlern an Bord in die Marktstraße der kleinen Mostviertler Gemeinde Hürm einbiegt. Vor den Fenstern tauchen das neue Gemeindezentrum mit seiner Holzfassade, die bunten Fahnen im Wind und der modern gestaltete Platz mit dem gepflegten Kopfsteinpflaster auf. Direkt daneben: Bank, Nahversorger, Gastronomie, Bäckerei – alles auf engstem Raum, alles fußläufig. #„Fünfzehn Meter vom Ofen in die Geschäftsvitrine“, sagt Franz Obruca mit einem Lachen und deutet – einen duftenden Brotlaib in der Hand – auf den kurzen Weg von der Backstube in den Verkaufsraum. „Noch näher und regionaler geht nicht.“ Die Bäckerei Obruca, gegründet von den Urgroßeltern, ist längst eine Institution im Ort und versorgt die Menschen mit hochwertigen Produkten und „Geschmack, der verzaubert“. „Wir haben 18 Mitarbeiter. Wir sind ein Kleinbetrieb, bei uns wird der Großteil mit der Hand gefertigt, von ausgebildeten Bäckern.“ Echte Handwerkskunst mit Fokus auf Qualität. Wer bei Obruca einkauft, findet mehr als nur Brot: eine Jause für den schnellen Hunger (Öffnungszeiten ab 5.15 Uhr sowie Sonntagvormittag), Kaffee für zwischendurch – und eine Verkäuferin, die ihre Kundinnen und Kunden mit Namen kennt. „Bei uns ist es noch wie früher.“

Regionale Verantwortung

Profitiert hat Obruca auch von der Neugestaltung des Ortskerns, einem zeitgemäßen Zentrum, das Gemeindeamt, Bank, Wohnungen, Gastro, Co-Working und öffentliche Flächen vereint und den Ortskern als Treffpunkt stärkt. Das Projekt gilt als Modell kooperativer Ortsentwicklung, verknüpft Nahversorgung mit öffentlichem Leben und setzt auf nachhaltige, energieeffiziente Bauweise. Angefangen hat alles 2015. Lebensmittelhändler Jürgen Prosenbauer wollte sein SPAR-Geschäft neu bauen. „Die Pläne standen schon kurz vor der Einreichung, als wir erfahren haben, dass die Gemeinde im Zentrum etwas vorhat“, erinnert sich der Kaufmann, der 2010 das elterliche Lebensmittelgeschäft samt Tankstelle übernommen hat. Also alles auf Anfang. Ein neues Konzept wurde erarbeitet. Heute, zehn Jahre später, ist SPAR Prosenbauer wichtiger Teil des neuen Dorfzentrums mit rund 10.000 Artikeln, regionalen Produkten, Tankstelle, Post- und Serviceangeboten sowie Parkplätzen – kein Not-, sondern ein echter Nahversorger. 
„Es ist wichtig, dass die Menschen die grundlegenden Dinge im Ort kaufen können. Das ist regionale Verantwortung“, betont Prosenbauer. Und während er die Frischeabteilung prüft, rollt draußen ein roter Wagen an die Zapfsäule. „Vor dem Einkauf noch schnell tanken“, meint die Frau hinter dem Steuer lachend. Treibstoff gibt es bei Prosenbauer seit Jahrzehnten. „Benzin wurde irgendwann zum Produkt des täglichen Bedarfs und für uns Teil des Nahversorgungsauftrags,“ sagt der Händler. Eine zeitgemäße Nahversorgung sei weit mehr als ein modernes Geschäft mit nachhaltigem Sortiment. „Es geht darum, ein lebendiger Teil des Dorflebens zu sein – zentral, verankert in der Gemeinde, eng verbunden mit Vereinen und Institutionen.“ 

ADEG Krummnussbaum,
© ADEG Krummnussbaum Eine funktionierende Nahversorgung ist der Schlüssel für lebendige Gemeinden. Sie erhält Lebensqualität und fördert eine nachhaltige Entwicklung. Projekte in Ober-Grafendorf, Hürm, Krummnußbaum und Reinsberg zeigen, wie regionale Ideen erfolgreich umgesetzt werden können – innovativ und inspirierend.


Ein Platz zum Verweilen


„Ein klassisches Ortszentrum gab es nicht“, berichtet Bürgermeister Johannes Zuser. „Die Marktstraße war eine Durchfahrtsstraße, gesäumt von Häuserfronten.“ Heute zeigt sich ein anderes Bild: Indem die Gebäude zurückversetzt wurden, entstand ein Platz, der zum Verweilen einlädt – ein neuer Treffpunkt mitten im Ort. Das Fazit, ein Jahr nach der Eröffnung? „Sehr gut. Die Betriebe sind zufrieden, die Menschen nutzen die Angebote“, sagt der Ortschef mit Blick auf die beiden Radfahrer, die gemütlich auf einer der Bänke sitzen und ihr Eis schlecken. „Den Prozess möglichst breit aufstellen – und sobald der Plan steht, konsequent umsetzen“, gibt Zuser als Rat mit. „Es ist es eine große finanzielle Herausforderung. Doch Programme wie NAFES sind hier wertvolle Unterstützung.“ 
Mit dem Neubau ist auch die Bank ins Zentrum übersiedelt. Seit mehr als 130 Jahren gibt es die Raiffeisenbank in Hürm. „Unternehmensberater würden sagen: Ein dichtes Bankstellennetz hat keine Zukunft“, sagt Regionsleiter Thomas Dober. „Doch als Genossenschaftsbank sehen wir das anders. Gewinne bleiben in der Region und können reinvestiert werden.“ Die Raiffeisenbank Region Schallaburg verwaltet die Gelder von rund 30.000 Kunden, beschäftigt über 80 Mitarbeiter und betreibt fast zwei Drittel aller Bankomaten in der Region. 
„Früher kam man, um etwas abzuwickeln. Heute suchen die Leute Beratung – bei Menschen vor Ort.“ Von der Dorfentwicklung hat die Bank ebenfalls profitiert. „Wenn in einen Ort investiert wird, stärkt das den Zusammenhalt. Viele sehen uns als ihre Bank. Unser Ziel ist es, die Gemeinschaft zu fördern – mit Bargeldversorgung, Beratung und regionalem Engagement.“

Harmonisches Zusammenspiel


Während eine Kundin im Foyer den Bankomaten ansteuert, füllt Gastronom Hakan Dogan im Haki’s gegenüber die Getränke auf. „Meine Familie kommt aus der Gastro, ich habe Restaurantfachmann gelernt. Als sich die Chance bot, das Lokal zu übernehmen, haben meine Frau und ich zugegriffen.“ Bereut hat er es nicht: „Die Gemeinde ist uns sehr entgegengekommen, auch mit den ansässigen Gastronomen gibt es ein gutes Miteinander. Ich bin hier glücklich – und durch den neuen Ortskern haben wir viel Frequenz.“
Serviert wird griechische Küche, ergänzt um Pizza, Pasta und Burger. „Hier findet jeder etwas, vom Kind bis zu unserem ältesten Stammgast mit 92. Qualität und Preis-Leistung stimmen – und die Mischung aus modernem Lokal und Wirtshausflair passt.“  

Regionale Vielfalt an einem Platz


Die Exkursion-Teilnehmer steigen ein, die Türen des Busses schließen sich. Nächster Halt: die Dirndltal Speis in Ober-Grafendorf. „Wir betreiben seit vielen Jahren einen bäuerlichen Direktvermarktungsbetrieb“, erzählt Magdalena Stern-Gatterer. „Die Herausforderung: Kunden müssen oft extra wegen weniger Produkte zu uns kommen.“ Die Lösung: ein Geschäft, das eigene Waren mit jenen anderer regionaler Kleinproduzenten verbindet. „So können die Leute ihren gesamten Einkauf erledigen – und wir erreichen auch jene, die den Weg zum Hofladen nicht auf sich nehmen würden.“
 Am Anfang gab es eine Idee und ganz „viel Idealismus“. Heute finden sich auf 73 Quadratmetern rund 3.500 Produkte. „Hinter jedem steht ein Mensch, kein Konzern. Nahversorgung bedeutet Nähe zwischen Kunden und Produzenten. Wir sind die Vermittler, die beide auf Augenhöhe zusammenbringen“, beschreibt Stern-Gatterer mit Blick auf das mit Bedacht und viel Liebe zum Detail platzierte Sortiment. Neben bodenständigen Lebensmitteln gibt es laufend neue Nischenprodukte – ergänzt durch ein fixes Grundsortiment. Die Dirndltal Speis ist mehr als ein Hofladen: Entdeckungsreise und Alltagseinkauf zugleich, mit komfortablem Bezahlsystem. „Alles ist regional.“ 
Ein Tipp für Nachahmer? „Mitbewerber nicht nur als Konkurrenz sehen. Synergien helfen allen weiter. Und: Ein Selbstbedienungsladen läuft nicht von alleine. Pflege, Verwaltung, Beständigkeit – das ist harte Arbeit.“ Die nächsten Ziele? Mehr Lagerfläche, ein verfeinertes Sortiment. „Wir wollen immer ein Stück besser werden – für unsere Kunden und für die Produzenten der Region.“

„Es macht einfach Spaß“


Ortswechsel. Krummnußbaum im Bezirk Melk. Im neuen Gemeindezentrum spielt sich das Leben ab – einkaufen, plaudern, arbeiten, wohnen. Mittendrin: der ADEG-Markt von Daniela Kern. Die Kauffrau winkt auf dem Weg zu  Kassa fröhlich der älteren  Damenrunde zu, die sich hier täglich in der kleinen, gemütlichen Kaffee-Ecke trifft. „Keinesfalls“, sagt sie ohne Zögern auf die Frage, ob sie die Übernahme des Marktes je bereut habe. „Es läuft gut, wir haben viele Stammkunden, das Miteinander ist freundschaftlich – es macht einfach Spaß.“ Seit April 2023 führt sie den einzigen Nahversorger im Ort, gemeinsam mit sieben Mitarbeitern. Angeboten wird alles für den täglichen Bedarf, ergänzt um Poststelle, Tabak, Lotto und regionale Produkte.
Doch der ADEG ist nur ein Teil des lebendigen Zentrums. Auch der Friseursalon „Haargenuss“ von Petra Kerndler-Wiederkehr hat hier seine Heimat gefunden. Sie eröffnete ihren Salon bereits 2020 in einem provisorischen Geschäftslokal – mit dem klaren Ziel, ins neue Zentrum zu übersiedeln. „Die Standortverlegung war von Anfang an geplant. Das Zusammenspiel im gesamten Ortszentrum ist für alle ein Gewinn. Jeder profitiert von der Dienstleistung des anderen und kann so wachsen“, erklärt sie. 
Schon als Kind hat sie davon gesprochen, Friseurin zu werden. „In meinem Salon kann ich meine Ideen verwirklichen und meine Kunden noch besser betreuen.“ Was ihr an der Arbeit am meisten Freude bereitet: „Mit Menschen zu arbeiten, Gespräche zu führen – und sie dabei glücklich zu machen.“ Von der Lage im Zentrum profitiert ihr Geschäft spürbar. „Es gibt mehr Laufkundschaft durch die Nähe zu Café, Nahversorger und Gemeindeamt. Viele Kunden sagen mir, dass sie froh sind, alle wichtigen Betriebe an einem Ort zu haben – das spart Zeit und unnötige Wege.“
Auch Bürgermeister Bernhard Kerndler hebt diese Wirkung hervor: „Unser Zentrum ist Treffpunkt, hier kommt man zusammen, hier tauscht man sich aus.“ Neben ADEG und Friseur sind Gemeindeamt, Café, Veranstaltungssaal und Wohnungen untergebracht. Zehn Jahre habe es gebraucht, bis das Projekt mit Unterstützung von NAFES umgesetzt war – mit vielen Gesprächen und viel Hartnäckigkeit. „Aber es hat sich ausgezahlt“, sagt Kerndler. „Es ging ein Ruck durch die Gemeinde, es hat das Miteinander belebt. Wann immer man vorbeigeht oder vorbeifährt – hier ist Leben, hier pulsiert‘s.“

Gemeinschaftsaufgabe


Letzter Stopp: Reinsberg. Eine kleine Gemeinde mit gut 1.000 Einwohnern im Bezirk Scheibbs. Hier ist die Nahversorgung eine echte Gemeinschaftsaufgabe. Nachdem der letzte private Nahversorger 2011 zusperrte, gründeten engagierte Gemeinderäte den Verein „Unser G’schäft“ – getragen von über 200 Mitgliedern. Und so wurde 2023 ein moderner Hybridmarkt eröffnet, eingebettet ins Ortszentrum neben Kindergarten und Gemeindeamt. „Das neue Geschäft ist mehr als nur Einkaufsmöglichkeit – es ist Treffpunkt und Herzstück unseres Dorfes“, betont Bürgermeister Reinhard Nosofsky. Geöffnet ist es 72 Stunden pro Woche, teils mit Personal, teils als Selbstbedienung mit Chip oder App.
Über 4.000 Produkte, viele davon regional, sowie Zusatzangebote von Feinkost bis Kaffeeecke machen das „G’schäft“ zum Versorger und Begegnungsort zugleich. „Die große Stärke liegt im Miteinander. So bleibt die Wertschöpfung im Dorf.“

  • Förderungen für Ortskernrevitalisierung und eine nachhaltige Ortsentwicklung: Wirtschaftskammer NÖ, Dorf- und Stadterneuerung sowie RegioPlan unterstützen Gemeinden bei Anträgen und Umsetzung. Zum Überblick:
    www.nafes.at
    www.foerderzentrum.at