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Miraplast
© Miraplast

Was bleibt: Acht Monate nach dem Hochwasser

„Land unter“ hieß es im September in NÖ, etwa 2.000 Betriebe waren betroffen. „Wirtschaft NÖ“ begibt sich auf eine Bestandsaufnahme – acht Monate nach dem Hochwasser.

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 25.06.2025

„Dieses Jahr wird hoffentlich noch alles beseitigt sein.“ Obwohl die Hochwasser-Spuren am Firmensitz mit einer Bausubstanz, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht, noch an vielen Stellen zu spüren und zu sehen sind, strahlt Nikola Kerschbaum ungebrochene Zuversicht aus. Bis zum ersten Stock ist das in Zwettl nahe dem Kamp gelegene Gebäude von Kerschbaum Reisen im September unter Wasser gestanden. „Garagen, Werkstätten, Aufenthaltsräume waren überschwemmt, Kanäle unterspült, der Asphalt hat sich gehoben“, schildert Kerschbaum. „Aus den Steckdosen ist das Wasser gekommen. Beim Kanal war ein richtiger Strudel.“ Immerhin: Seine vier Busse hatte das Reiseunternehmen, dessen Angebot Tagesausflüge ebenso umfasst wie mehrtägige Kulturreisen – aktuell sind etwa Reisen unter dem Motto „Daheim in Südtirol“ oder ins Gitsch- und Gailtal in Kärnten im Angebot – rechtzeitig in Sicherheit gebracht. „Die Lehre aus dem ersten Mal“, sagt Kerschbaum. Denn schon beim Hochwasser 2002 war das Waldviertler Familienunternehmen, das auch als klassisches Reisebüro aktiv ist, schwer betroffen gewesen. 
Aufgrund der damaligen Erfahrung wurde auch ein Hochwasserschutz angeschafft, ausgerichtet auf ein 30-jähriges Hochwasser. Den neuerlichen Wassermassen im September war der Schutz nicht gewachsen – was nach dem Überlaufen allerdings tatsächlich noch ein Glück war. „Hätten die Wassermassen den Schutz nicht rausgerissen, wäre das Haus voll wie eine Badewanne gewesen“, schildert Reinhard Hubmann, der im Unternehmen als Reiseleiter und Buschauffeur aktiv ist.

Rasch und unbürokratisch

Für die – auch finanzielle – Unterstützung durch die Wirtschaftskammer NÖ in der Hochwassersituation ist Nikola Kerschbaum voll des Lobes. „Die Hilfe war rasch, unkompliziert und unbürokratisch. Das hilft enorm. Denn in so einer Situation weiß man eh nicht, wo fängt‘s an, wo hört man auf.“ Und auch, wenn alle Schäden nun bald beseitigt sind, eine Unsicherheit bleibt. „2002 hat uns, wie es hieß, ein 1.000-jähriges Hochwasser erwischt. Nur 22 Jahre später war es wieder da. So ein richtiges Sicherheitsgefühl wird es wohl nie mehr geben.“

Kerschbaumer Reisen
© WKNÖ

„Unglaublich. Surreal“

Mit den Auswirkungen des Hochwassers kämpft man – acht Monate danach – auch 80 Kilometer südöstlich, bei Miraplast in Würmla. „Unglaublich. Surreal. Du stehst knietief im Wasser. Geräusche wie von einem reißenden Gebirgsbach. Deine Waren schwimmen an dir vorbei. Der Maschinenpark ist komplett geflutet. Du kannst nichts tun – nur dastehen, zusehen. Während um dich herum alles in Wasser und Schlamm versinkt.“ Markus Brunnthaler, Geschäftsführer des Kunststoffverarbeiters, greift zum Handy, sucht nach den Aufnahmen vom September 2024 und schüttelt den Kopf. Zehn Tage nach der 60-Jahr-Feier kam das Hochwasser. Schaden: mehr als fünf Millionen Euro.

Eine harte Zeit

Ende April diesen Jahres haben die letzten Maschinen wieder ihre Arbeit aufgenommen. „Es war eine harte Zeit, anstrengend. Aber wir haben keinen Kunden oder Auftrag verloren.“ Wie das möglich ist, wenn die Produktion komplett stillsteht? „Mit Improvisieren (Elektromotoren zerlegt, mit Wasser ausgewaschen und im Backrohr getrocknet), Experimentieren, mit großer Eigenleistung. Aber vor allem durch Solidarität, Zusammenhalt und Anpacken“, sagt Brunnthaler und führt an jenem Tor vorbei, durch das die Flut kam. „Im Nachbardorf gab‘s eine Verklausung, da hat‘s uns eine Bank gegen das Tor gedrückt. DieWelle ist einmal durch das gesamte Gebäude geschwappt.“ Binnen Sekunden stand der gesamte Betrieb 70 Zentimeter unter Wasser. „Bis hierher hat‘s gereicht“, zeigt Brunnthaler auf die Markierung an einer Säule.

Als Unternehmerkind im Betrieb aufgewachsen, hat er früh die Bedeutung von Leistung, Risiko und Beharrlichkeit kennengelernt hat. Und auch, was es bedeutet, ehrliche Geschäftsbeziehungen zu formen und ein wertschätzendes Miteinander zu pflegen. In der Krise hat sich gezeigt, wie tragfähig dieses Fundament ist. Sobald das Wasser gewichen war, standen Mitarbeiter, ihre Partner, pensionierte Kollegen da und haben angepackt – mit Werkzeug, schwerem Gerät, mit Verpflegung, kreativen Ideen und dem Willen, nicht aufzugeben. „Meine Botschaft ans Team war klar: An der Situation lässt sich nichts ändern. Jetzt heißt es, Ärmel hochkrempeln, wieder aufbauen und weitermachen“, erinnert sich Brunnthaler. Und so hat drei Tage nach dem Hochwasser bereits der erste Lkw mit Waren das Lager verlassen.

Jetzt heißt es, Ärmel hochkrempeln, wieder aufbauen und weitermachen.

In Würmla konnte nur die Montage arbeiten, die Produktion lief zu Beginn ausschließlich über befreundete Branchenbetriebe und das Miraplast-Werk in Ungarn. „Einiges war aber unwiederbringlich verloren.“ Mit MiraHome fertigt Miraplast über 300 verschiedene Produkte für den Lebensmittel-, den Möbel- und Detailhandel. MiraTech beschäftigt sich mit der Entwicklung von Kunststoff-Spritzgussteilen, dem Bau von Spritzgusswerkzeugen und der Serienproduktion.
„Hier fehlt noch eine Wand. Die Bäder müssen fertig gefliest werden. Es ist noch einiges zu entsorgen und ordentlich zusammenzuräumen“, erklärt der Chef, während er mit kritischem Blick durch die Werkshallen geht und seine Mitarbeiter freundlich grüßt. „Wir kehren langsam zur Normalität zurück. MiraHome läuft wieder recht gut, bei MiraTech, im Projektarbeitsbereich, wurden wir zurückgeworfen, aber auch hier werden wir uns zurückkämpfen. Denn Aufgeben ist keine Option!“

Mühle unter Wasser

Es herrscht Hochbetrieb in der Plattner Mühle in Böheimkirchen (Bezirk St. Pölten). Vor acht Monaten ist hier am gesamten Gelände und in allen Gebäuden das Wasser bis zu 2,5 Meter hoch gestanden. Ein Hangrutsch hatte zusätzlich eine 12 Meter hohe Stützmauer zerstört. Acht Millionen Euro Schaden waren es in Summe. Unter der Erde verlegte Starkstromkabel lagen plötzlich frei. In den Silos gelagertes Getreide verklumpte derart, dass es nach dem Abfließen des Wassers in mühsamer Kleinarbeit vom Bundesheer und vielen freiwilligen Helfern aus den Silos gestemmt werden musste. „Man ist einfach machtlos, wenn das Wasser steigt und steigt – und schlussendlich auch die 1997 errichtete Hochwasserschutzmauer überflutet“, erzählt Seniorchefin Gabriele Plattner.

Plattner Mühle
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Kunden packen an

Und trotzdem: Innerhalb einer Woche war der Notbetrieb wieder aufrecht. Verwandte, Freunde, Feuerwehr, Bundesheer haben geholfen – und auch Branchenkollegen und zahlreiche Kundinnen und Kunden. „Die Kunden haben gesagt: Wir müssen alle anpacken, dass das Familienunternehmen Plattner weiter bestehen bleibt. Ohne diese enorme freiwillige Hilfsbereitschaft hätten wir nie so schnell zur ‚Normalität‘ zurückkehren können.“ Später kam finanzielle Hilfe von Land und Wirtschaftskammer NÖ dazu. „Eine wichtige Unterstützung, damit wir den Wiederaufbau vorantreiben konnten.“

Ohne die enorme freiwillige Hilfsbereitschaft hätten wir nie so schnell zur ‚Normalität‘ zurückkehren können

Bereits im 16. Jahrhundert ist hier in der Böheimkirchner Katastralgemeinde Schildberg eine Mühle gestanden. 1885 hat die Familie Plattner sie erworben. Das mittlerweile in fünfter Generation – von den Söhnen Siegfried und Jakob – geführte Familienunternehmen besteht seit 140 Jahren. In dieser Zeit entwickelte sich aus der traditionellen Mühle ein top-moderner Drehpunkt rund um Mehl, Getreide, Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz, Futtermittel und vieles mehr. 50.000 Tonnen beträgt das Lagervolumen. Eine Getreideübernahmeleistung von bis zu 350 Tonnen Getreide in der Stunde ermöglicht eine schnelle Übernahme sowie rasche Einlagerung, was wiederum lange Stehzeiten für Lkw und Traktoren erspart und Qualitätseinbußen des Getreides verhindert. Umgekehrt dauert es lediglich vier Minuten zum Verladen eines 40 Tonnen-Lkw.

„Und das war überwältigend“

Für den oberflächlichen Betrachter sind heute keine Hochwasser-Schäden mehr zu erkennen. Das täuscht freilich. „Manche Maschinen und Anlagen laufen noch mit Provisorien, die müssen noch ausgetauscht werden“, sagt Gabriele Plattner. „Wir hoffen, dass ein Großteil der Arbeiten bis zur Getreideernte abgeschlossen sein wird.“ Und nochmals kommt Plattner „voller Dankbarkeit“ auf die vielfältige Hilfe zurück, die das Unternehmen im Zuge der Katastrophe erfahren hat. „Das Hochwasser hat gezeigt, dass auch in schwierigen Zeiten der Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung perfekt funktionieren. Es wurde nicht viel gefragt, einfach geholfen. Und das war überwältigend.“
www.kerschbaum-reisen.at
www.miraplast.at
www.plattner-muehle.at