Gesundheit im Faktencheck: Schluss mit Dr. Google
Innovation. Das Tiroler Startup Doc2Me revolutioniert die Gesundheitskommunikation. Mit KI-gestützter Inhaltserstellung ermöglicht das Team rund um die Gründer:innen Lina Graf,Daniel Steiner und Thomas Schwarz Ärzt:innen Misinformationen in sozialen Medien gezieltentgegenzuwirken.
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Wie groß das Problem ist
Sieben von zehn Menschen googeln ihre Symptome. Jede vierte Information, die sie dabei finden, ist falsch. Besonders auf TikTok, YouTube und Instagram verbreiten sich Falschmeldungen rasant. Der Algorithmus verstärkt das Problem: Wer einmal auf Misinformation klickt, landet schnell in einer Blase, in der wissenschaftliche Fakten kaum mehr durchdringen. Der Leiter der US-Arzneimittelbehörde bezeichnet diesen „Deadly Loop of Misinformation“ als einen der größten Todesgründe in den USA.
Lina Graf kennt das Problem aus eigener Erfahrung. Die Gründerin von Doc2Me lebt mit der Schilddrüsenerkrankung Hashimoto und suchte selbst lange nach verlässlichen Informationen. „Man wird regelrecht mit Misinformation bombardiert“, sagt sie. Diese Erfahrung war einer der Auslöser für Doc2Me – eine KI-gestützte Plattform, die Ärzt:innen hilft, schnell und professionell Inhalte zu erstellen.
Von Femble zu Doc2Me
2020 hat das Team mit Femble gestartet, einer App für Frauen, um ihren Zyklus zu tracken. Die gesammelten Daten sollten dem Gender Data Gap entgegenwirken und Frauen in ihrer Periode besser unterstützen. Femble wird mittlerweile eigenständig betreut und hat über 50.000 Nutzerinnen.
Doch Misinformationen sind nicht nur in der Gynäkologie ein Problem – gerade hier herrscht eine regelrechte „Infodemie“. Das Thema Brustkrebs führt die Liste der Falschinformationen an: sechsmal häufiger als bei anderen Gesundheitsthemen kursieren hier falsche Fakten.
Die enge Zusammenarbeit mit Ärzt:innen während der Femble-Phase brachte das Team auf eine größere Idee: Mediziner:innen sind hochmotiviert, qualitative Informationen zu verbreiten. Ihnen fehlen aber Zeit, Ressourcen und Geld – ob im Alleingang oder durch Marketingfirmen. In der Praxis ist die Erstellung von Inhalten kaum möglich.
Wie Doc2Me funktioniert
Derzeit befindet sich Doc2Me in der Betaphase. Ärzt:innen loggen sich ein, hinterlegen Daten, Fachgebiete und Schwerpunkte – daraus erstellt das System einen KI-gestützten, personalisierten Videofahrplan.
Die Plattform liefert Ideen für Inhalte, übersetzt medizinischen Fachjargon für Patient:innen, schlägt Schnitte vor, erzeugt automatisch Untertitel und ergänzt passende Grafiken oder Animationen. Ein integrierter Teleprompter unterstützt beim Aufnehmen. Ziel ist es, Ärzt:innen durch den gesamten Prozess zu führen, damit sie schnell und in hoher Qualität verlässlichen Gesundheitscontent produzieren können.
Das Programm stützt sich auf generative KI – also Systeme, die aus vorhandenen Daten eigenständig neue Inhalte wie Texte, Bilder oder Vorschläge erstellen. Die KI lernt bei jeder Nutzung dazu, passt den Ablauf an die Person vor der Kamera an und entwickelt laufend präzisere Empfehlungen. Auf Basis der eingetragenen Daten entstehen Ideen für neue Inhalte, passende Videostrukturen und automatisch generierte Thumbnails.
Mit jedem veröffentlichten Video wird das System personalisierter und die Unterstützung spürbar besser. Dafür hat das Team einen Experten in KI-Engineering an Bord geholt, Andreas Peintner, der gerade nebenher seinen Informatik-PhD an der Universität Innsbruck abschließt.
Vertrauen statt Klicks
Eine Schlüsselfrage bleibt: Wie stellt Doc2Me sicher, dass ausschließlich medizinisch korrekte Inhalte veröffentlicht werden?
Das Team arbeitet daran, das System direkt an wissenschaftliche Datenbanken anzubinden. Die KI soll Fakten automatisch finden, auswerten und mit den eingegebenen Informationen abgleichen. Funktioniert dies lückenlos, wäre das ein Novum im digitalen Gesundheitsmarkt.
Parallel dazu baut Doc2Me auf ein breites Netzwerk an Ärzt:innen, die den Prototyp bereits testen. Ein Peer-Review-Prozess soll dafür sorgen, dass Beiträge vor der Veröffentlichung von Kolleg:innen überprüft werden. „Vertrauen statt Klicks“ lautet der Anspruch.
Trotz generativer KI bleibt der Mensch entscheidend: Ärzt:innen geben alle Daten selbst ein, prüfen jeden Beitrag, korrigieren Inhalte und tragen die finale Verantwortung.
Der Sprung nach New York
Doc2Me hat den Schritt über die Grenzen hinaus gewagt – und das gleich zweigleisig. Neben der Expansion in den DACH-Raum zog es das Team nach New York, wo der Gesundheitsmarkt völlig anders funktioniert. Dort managen große Anbieter mitunter hunderte Ärzt:innen unter einem Dach. Für eine Plattform wie Doc2Me ist ein einziger Partner aus diesem Segment ein strategischer Hebel mit enormem Potenzial.
Finanziell steht das Projekt ebenfalls auf stabilen Beinen: Doc2Me sicherte sich eine FFG-Förderung und gewann bereits erste Investor:innen. Diese Mittel fließen direkt in den Ausbau des Prototyps und in die Feinabstimmung zum optimalen Product-Market-Fit. Die finale Version soll in drei bis sechs Monaten live gehen.
Tirol als Standort
Der Standort Tirol spielt für das Team eine zentrale Rolle – nicht nur wegen der hohen Lebensqualität, sondern auch wegen der Lage im Herzen Europas. Wer beruflich viel reist, profitiert von der guten Anbindung.
Als Startup-Standort wird Tirol häufig unterschätzt, doch gerade das macht den Markt interessant: Im Innovationsbereich ist der Wettbewerb geringer als in New York, was jungen Unternehmen wie Doc2Me Raum gibt, sich ohne ständigen Verdrängungskampf zu entwickeln.
Das Tiroler Startup-Ökosystem sehen die Gründer:innen positiv. In den vergangenen Jahren hat sich viel bewegt – nicht zuletzt durch Initiativen wie den InnCubator oder den Impact Hub. Was jedoch fehlt, ist Sichtbarkeit. „Es braucht echte Erfolgsstorys aus Tirol und mehr Dialog über Startups. Das Budget wäre da – aber es fehlt noch das Storytelling“, sagt Lina Graf.
Unterstützung kommt auch von der Wirtschaftskammer Tirol. Programme wie der InnCubator oder Go-International haben Doc2Me entscheidend weitergebracht. Zusätzlich ist Lina Teil der Bold Community, wo sie sich mit innovativen Köpfen aus aller Welt vernetzt – ein Netzwerk, das für ein wachsendes Health-Tech-Unternehmen enorm wertvoll ist.
Startup Zeit, dann dass man ein Team braucht, das genau so motiviert ist wie man selbst.
Die größten Lücken
Die größte Lücke in der Gesundheitskommunikation sehen die Gründer darin, dass Ärzt:innen kaum Möglichkeiten haben, überhaupt an der öffentlichen Debatte teilzunehmen – obwohl sie das Wissen hätten und die fachliche Autorität mitbringen. Kommunikation ist jedoch nicht ihr Kernberuf.
Genau deshalb braucht es niederschwellige Werkzeuge, die ihnen den Zugang erleichtern. Der schnelle Generationenwechsel im digitalen Raum hat die Gesundheitsbranche abgehängt: Während sich Diskussionen längst auf Social Media verlagert haben, fehlt Ärzt:innen eine praktikable Eintrittstür.
„Die Informationen müssen dorthin, wo wir uns alle aufhalten – Social Media“, sagt Daniel Steiner. „Wir sind die Enabler. Die Entscheidung, was veröffentlicht wird und wie, liegt immer bei den Ärzt:innen.“
Für Lina Graf ist der Auftrag klar: „Vertrauen bei den Patient:innen zurückgewinnen – das ist unser Ziel.“
Erfahrungen und Ratschläge
Rückblickend auf die Gründung von Femble im Jahr 2020 hätte das Team gerne früher gewusst, wie viel Resilienz ein Startup wirklich braucht – und wie lang der Atem sein muss. Entscheidend sei, ein Team aufzubauen, das für das Thema brennt und konsequent daran arbeitet.
„Recherche, Recherche, Recherche – werde Expert:in für das Problem, das du lösen willst“, lautet ihre Erkenntnis.
Ihr Rat an junge Tiroler Startups: sich nicht einschüchtern lassen, ein Team mit derselben Energie aufbauen und Absagen sammeln, statt sie zu fürchten. Durchhalten sei der zentrale Faktor.
Gleichzeitig wünschen sich die Gründer:innen mehr Mut auf Investorenseite: Wer in Tirol Risiko eingeht, stärke langfristig den gesamten Standort.
„Als Startup hat man eine Vision – und der Weg ist extrem agil“, sagt Lina Graf. „Unsere war es, Desinformation nicht einfach zu löschen, sondern aktiv aus dem Raum zu nehmen und durch verlässliches Wissen zu ersetzen.“
Ein Anspruch, der Doc2Me trägt – und ein Ziel, das zeigt, wie viel Wirkung von einem Tiroler Health-Tech-Unternehmen ausgehen kann.