Meisterschaft in luftiger Höhe
Seit 80 Jahren verbindet die Familie Plössl meisterhaftes Spengler-Geschick mit Akrobatik und furchtloser Schwindelfreiheit – auf und über den Dächern des Landes Tirol und seiner Landeshauptstadt. In dritter Generation führt Klemens Plössl (35) das Innsbrucker Familienunternehmen. Vor allem in Innsbruck kennt er so gut wie jeden Straßenzug aus der Vogelperspektive.
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Zarter besaiteten Menschen kann leicht der Atem stocken, wenn sie die Mitarbeiter der Spenglerei Plössl bei ihrer Arbeit beobachten. Etwa, wenn sie am Kletterseil hängend eine Dachrinne befestigen, in der Sonne glitzernde Kupferdächer montieren oder mit einem Feuer spuckenden Gasbrenner Dachpappebahnen miteinander verschweißen und damit die perfekte Abdichtung garantieren. Um den Auftraggeber:innen ein rundum gutes Dach über dem Kopf zu schaffen, ist ihnen kein Dach zu hoch, keine Konstruktion zu abenteuerlich und keine Herausforderung zu komplex. Aus luftiger Höh’ betrachtet muss es für sie fast komisch wirken, wenn Beobachter:innen am Boden mit der dafür typischen Hand-am-Mund-Haltung das eine oder andere „Ah“ oder „Oh“ rufen.
Dachspenglerei ist jedenfalls nichts für schwache Nerven. Schwindelfreiheit ist die eine entscheidende Voraussetzung dafür – auf, an und über den Dächern zu arbeiten. Handwerkliches Geschick ist die zweite. „Da oben auf dem Dach können wir uns kreativ austoben. Das gefällt mir ganz gut“, sagt Klemens Plössl, der die 1945 gegründete Spenglerei Plössl in dritter Generation führt.
Das Portfolio des Familienunternehmens ist so breit wie groß. Türme und Kuppeln, mit denen hohe Spenglerkunst regelrecht verewigt wird, zählen genauso dazu wie all die klassischen Aufgabengebiete einer Spenglerei, deren qualitativ hochwertige Arbeiten nicht nur bei der Errichtung eines Gebäudes, sondern auch für deren Erhaltung oder Sanierung notwendig sind. Schließlich bildet ein Dach das Haupt jeden Hauses und spielt eine entscheidende Rolle für das Leben, das unter ihm stattfindet.
„Die optimale Wärmedämmung auf dem aktuellsten Stand der Technik lässt die Wärme dort, wo sie hingehört: im Sommer draußen und im Winter in der Wohnung“, weiß Klemens Plössl etwa, welche Spenglerarbeit die Lebensqualität vor allem in Dachgeschosswohnungen erhöht. Dachprüfungen durchzuführen und dabei festzustellen, ob das Dach wintertauglich ist oder eben nicht mehr, ist eine Aufgabe, deren Mehrwert der Spenglermeister ebenso besonders herausstreicht, kann die rechtzeitige Wintertauglichkeits-Prüfung doch große Folgeschäden verhindern und teure Sanierungen vermeiden. „Niemand verzichtet im Winter auf warme Kleidung, am Auto sind Winterreifen selbstverständlich. Lediglich dem Dach zeigen zu viele Hausbesitzer noch immer die kalte Schulter“, weiß der junge Firmenchef.
Klemens Plössl ist 35 Jahre alt. Er ist schon seit 20 Jahren Spengler und den Meistertitel darf er seit Dezember 2012 führen. Das Familienunternehmen leitet er – in feinem Einklang mit seinem Bruder Kai Plössl – seit 2014 und zu ihrem Outdoor-Beruf, der auch Wetterfestigkeit voraussetzt, hält er fest: „Es ist ein harter Job. Man braucht viel Kraft, muss Akrobat, Kletterer und Allrounder sein.“
80 Jahre schwindelfrei
Gut möglich, dass die außergewöhnliche Kombination an handwerklichem Können, kreativem Problemlösen, tiefgreifendem Materialwissen und körperlicher Fitness bereits in den Genen der Familie Plössl nachgewiesen werden kann. Klemens Plössl scherzt jedenfalls gerne über die gut mögliche Schwindelfreiheit seines knapp fünf Monate alten Sohnes. „Er ist vielleicht die vierte Generation. Vielleicht auch nicht. Schauen wir mal“, sagt er mit so entspanntem wie freudigem Blick in die Zukunft und auch mit stolzem Blick in die Vergangenheit. „80 Jahre zu feiern, hat schon was“, sagt er.
Ja, das hat was – auch, weil die Geschichte der Spenglerei Plössl eine derart bewegte und mit sprichwörtlichen Höhepunkten gespickte ist. Zum 75-Jahr-Jubiläum hatte Klemens’ Mutter Anita Plössl die wichtigsten Stationen des Unternehmens in einem Film festgehalten. Darin wird beispielsweise die Gänsehaut erregende Geschichte Alois Pischlas beschrieben, dem Vorgänger des Unternehmensgründers Josef Plössl.
In einem historischen Adressbuch der Stadt
Innsbruck aus dem Jahr 1940 wird Alois Pischla als einer von 31 Spenglern in der Tiroler Landeshauptstadt geführt – mit Unternehmenssitz in der Pradler Straße. Der Zweite Weltkrieg sollte auch sein Leben auf grausame Weise aus den Bahnen werfen und als ihn im Genesungsurlaub nur wenige Wochen vor Kriegsende ein neuerlicher Marschbefehl erreichte, tauchte er beziehungsweise seilte er sich im wahrsten Sinn des Wortes ab und versteckte sich in einer Höhle in der Nähe des Tummelplatzes. Dort wurde er in den brandgefährlichen Nächten des zu Ende gehenden Krieges von Josef Plössl mit Lebensmitteln versorgt.
Beeindruckende Arbeiten
Die mutige Hilfsaktion spricht Bände über den Charakter des Gründers, der 1945 seine eigene Spenglerei und Glaserei ins Leben gerufen hat. Die unheimliche Zerstörungskraft des Krieges hatte auch Innsbruck teils in Schutt und Asche gelegt. Über die Hälfte der Gebäude und fast 60 % der Wohnungen in Innsbruck waren beschädigt, zerstört oder unbewohnbar. Auch die Spenglermeister hatten nach Kriegsende alle Hände voll zu tun, um die Stadt wieder bewohnbar und Dach für Dach wieder lebenswert zu machen. Beeindruckend sind etwa die Fotodokumente, die Josef Plössl und seine Mitarbeiter bei der Instandsetzung des Daches des EWI- oder Stadtwerke-Hochhauses in der Innsbrucker Salurner Straße zeigen. Längst wurde aus den Stadtwerken die IKB und noch heute setzt die einzigartig geschwungene Dachkonstruktion diesem ewigen Meisterstück des Architekten Lois Welzenbacher die Krone auf. Ein schönes Werk des Unternehmensgründers, dessen Todesjahr 1973 das Jahr wurde, in dem mit seinem Sohn Bernd Plössl die zweite Generation den Betrieb übernahm. Wie sein Vater, so hatte auch Bernd Plössl nicht nur die Meisterprüfung für das Spenglergewerbe, sondern auch für das Glasergewerbe abgelegt. „Mein Vater ist so alt wie das Unternehmen“, erzählt der Sohn, „er wurde 1945 geboren.“ Auch Bernd Plössl darf also herzlich gratuliert werden.
Glasklar war es für Klemens Plössl nicht gewesen, dass er Spenglermeister werden und den Betrieb übernehmen wollte. Die Lehrzeit sei extrem hart gewesen, was ihn daran zweifeln ließ. „Aber als ich dann beim Papa gearbeitet habe, war es viel besser und ich habe diesen Handwerk lieben gelernt“, sagt er. Sein älterer Bruder Kai Plössl hatte Elektriker gelernt, ist aber bald zum beziehungsweise in das Familienunternehmen gewechselt. „Wir haben gerade zwei Lehrlinge – einer wird demnächst fertig, einer ist ganz frisch – und wir sind jetzt dreieinhalb Meister im Betrieb. Dreieinhalb, weil ein Meister schon kurz vor der Pension steht und in Teilzeit arbeitet“, erzählt er. Eine ziemlich coole Spengler-Truppe hat er da um sich versammelt. Die Blicke aus der Vogelperspektive, die sie ganz alltäglich geboten bekommt, sind jedenfalls beneidenswert. Vor allem für zarter besaitete Menschen, denen angesichts dieser oft spektakulären Akrobatik der Atem stockt – und ihnen ein beeindrucktes „Ah“ oder „Oh“ entlockt.
Weitere Informationen: www.ploessl.at