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Vollzeit
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Warum jede Stunde zählt

Tirol hat die höchste Teilzeitquote Österreichs – jede/r dritte Beschäftigte arbeitet weniger als Vollzeit. Das wird zunehmend zum Problem für Wirtschaft und Wohlstand. Darüber hinaus braucht es eine Sensibilisierung in Hinblick auf die Auswirkungen von Teilzeitarbeit auf die Pensionskonten und das Risiko für Altersarmut. Wirtschaftskammerpräsidentin Barbara Thaler fordert: „Leistung muss sich wieder lohnen.“

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 08.11.2025

Tirol ist Spitzenreiter – aber im falschen Ranking. Mit rund 33 Prozent liegt die Teilzeitquote hierzulande über dem Österreich-Schnitt und deutlich über dem EU-Durchschnitt. „Und der Trend hält an - wir arbeiten im europäischen Vergleich immer kürzer“, sagt WK-Präsidentin Barbara Thaler. Laut OECD ist die durchschnittliche Arbeitszeit pro Beschäftigtem in Österreich seit 2005 um fast 14 Prozent gesunken – stärker als in vielen anderen Euro-Ländern. Diese Kombination aus niederer Ausgangsbasis bei den Wochenstunden und der weiteren Abnahme wird für die Leistungserbringung insgesamt zum Problem.

Dass Teilzeit längst keine Randerscheinung mehr ist, zeigen auch die Zahlen im Detail: 89 Prozent der Teilzeitkräfte entscheiden sich freiwillig für weniger Stunden, mehr als die Hälfte sagt, Freizeit sei wichtiger als Gehalt oder Karriere. Barbara Thaler sieht darin ein wachsendes Risiko für den Wirtschaftsstandort: „Es wird Zeit, diese Entwicklung einzubremsen. Jede Stunde, die fehlt, hat Konsequenzen – für unsere Wertschöpfung, für unsere Zukunft und auch für die Betroffenen selbst.“ Es geht dabei nicht um Menschen, die aufgrund von Pflege, Betreuung und Kindererziehung keine andere Wahl haben. Es geht um jene, die mehr arbeiten könnten, es aber nicht möchten. 

Warum zu viel Teilzeit ein volkswirtschaftliches Problem ist

Der Fachkräftemangel ist längst nicht mehr nur ein Schlagwort, sondern tägliche Realität in den Betrieben. Gleichzeitig bleiben zigtausende Arbeitsstunden ungenutzt. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen in Österreich liegt aktuell bei nur 27,9 Stunden. „Wenn jede und jeder nur eine Stunde mehr arbeiten würde, entspräche das 3,6 Prozent mehr Arbeitsvolumen – bis zu 4,2 Milliarden Euro an zusätzlichen Staatseinnahmen“, rechnet Thaler vor.

Wer Leistung zeigt, darf dafür nicht bestraft werden. Deshalb müssen wir als Gesellschaft Leistung neu denken – nicht als Kalorienverbrauch, sondern als Herzenssache. Nicht als Ausbeutung, sondern als Selbstverwirklichung. 

Betroffen sind nicht nur die Betriebe - die Folgen gehen tiefer und sorgen auch in den Haushalten für Schwierigkeiten: Geringere Stunden bedeuten nicht nur weniger Produktivität, sondern eben auch schwächere Pensionskonten und steigendes Risiko von Altersarmut. Eine Modellrechnung aus dem Wirtschaftsministerium zeigt: Wer bei 3.500 Euro durchschnittlichem Bruttogehalt über 40 Jahre arbeitet, davon 20 Jahre in Teilzeit, erhält im Alter rund 620 Euro weniger Pension pro Monat. Diese Lücke entsteht unmittelbar durch die Jahre mit reduzierter Arbeitszeit. „Viele unterschätzen diese langfristigen Effekte“, warnt Thaler, „Teilzeit ist keine Kleinigkeit – sie entscheidet oft über finanzielle Sicherheit im Alter.“

Zudem wird das System durch falsche Anreize weiter geschwächt. Denn wer mehr arbeitet, hat oft netto kaum mehr im Börsel. Laut Agenda Austria bekommt jemand, der seine Arbeitszeit verdoppelt, netto nur rund 68 Prozent mehr Gehalt. „Ein System, das Mehrarbeit bestraft, braucht dringend ein Update – sonst arbeiten wir gegen uns selbst“, sagt Thaler.

Wo das System bremst

Viele der Bremsen liegen im Detail – und in gut gemeinten Regelungen. Doch gut gemeint bedeutet in der Praxis oft schlecht getroffen. So bedeutet die Aufstockung von Stunden für viele, etwa eine geförderte Wohnung zu verlieren. „Das bringt uns vor ein unlösbares Dilemma: Selbst wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Arbeitszeit erhöhen wollen, verhindert es letztlich das System“, erklärt Thaler. Solche Konstellationen sind keine Einzelfälle. Starre Einkommensgrenzen bei Beihilfen, Zuschüssen oder Gebührenbefreiungen wirken wie eine Wand gegen Mehrarbeit. „Wer ein paar Stunden mehr arbeitet, darf nicht riskieren, dadurch weniger zu haben“, so Thaler.

Auch im Sozialversicherungssystem selbst stellt sich eine Gerechtigkeitsfrage. Geringfügig Beschäftigte leisten keine Beiträge, sind aber bei Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Wer dagegen mehr arbeitet, zahlt zunehmend höhere Beiträge – für die gleichen Leistungen. In dieser Thematik braucht es mehr Eigenverantwortung und auch eine ehrliche Debatte über Selbstbehalte muss zulässig sein - bei Medikamenten und Wahlärzten ist eine anteilige Kostenübernahme längst selbstverständlich. 

Lösungsansätze – was sich ändern muss

Die Wirtschaftskammer fordert ein Bündel an Maßnahmen, um die Aufstockung von Arbeitsstunden attraktiver zu machen. An erster Stelle steht die steuerliche Entlastung: Eine Entschärfung der Steuerprogression wäre der wirksamste Hebel, ebenso die Abschaffung der Beitragsstufen in der Arbeitslosenversicherung. Immerhin war das Einfrieren der Geringfügigkeitsgrenze bei 551 Euro€ein Schritt in die richtige Richtung. 

Wichtig sei laut Thaler aber auch, die Lebensrealität vieler Familien mitzudenken: „Kinderbetreuung ist kein Luxus, sondern die Eintrittskarte in die Arbeitswelt.“ Mit dem neuen Tiroler Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz und der digitalen Plattform FRIDA werden Eltern künftig leichter einen Betreuungsplatz finden – ein entscheidender Faktor, um mehr Stunden arbeiten zu können.
Darüber hinaus müsse es mehr Flexibilität geben – beim Wechsel von Teilzeit in Vollzeit, bei Einkommensgrenzen und beim Zugang zu Transferleistungen. „Wer Leistung zeigt, darf dafür nicht bestraft werden“, betont Thaler. Und sie fügt hinzu: „Deshalb müssen wir als Gesellschaft Leistung neu denken – nicht als Kalorienverbrauch, sondern als Herzenssache. Nicht als Ausbeutung, sondern als Selbstverwirklichung.“

Ein Plädoyer für mehr Mut

Das Ziel ist klar: Mehr Netto vom Brutto und echte Anreize, die Lust auf Arbeit machen. Tirol könne hier mit gutem Beispiel vorangehen – etwa mit flexibleren Modellen, weniger Bürokratie und gezielter Information über Pensionsfolgen. „Leistung ist kein kalter Begriff, keine bloße Zahl – sie ist Ausdruck von Haltung, Herzblut und Verantwortung“, sagt Barbara Thaler. „Wenn wir Familien und Personen, die Pflegetätigkeiten leisten, Entlastungen und Planungssicherheit geben, gewinnen wir wirtschaftliche Stabilität. Und wenn wir die Hürden für Mehrarbeit abbauen, gewinnen wir Zukunft.“

Denn letztlich geht es um mehr als um Stundenkonten und Statistiken. Es geht um die Einstellung, mit der eine Gesellschaft Arbeit bewertet. Oder, wie die WK-Präsidentin es auf den Punkt bringt: „Jede Stunde, die dazukommt, ist nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein gesellschaftlicher Gewinn.“

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