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Andreas Matthä
© Kurt Prinz

„Die Koralmbahn-Strecke ist ein Schlüsselprojekt“

Er empfinde es als „großes Glück“, die Eröffnung der Kor­almstrecke noch in seinem aktiven Berufsleben miterleben zu dürfen, sagt ÖBB-Vorstandschef Andreas Matthä. An weiteren Ausbauprojekten mangelt es ihm nicht.

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 11.12.2025

Viele sprechen in Zusammenhang mit der Koralmbahn von einem „Jahrhundertprojekt“. Was ist es für Sie?

Andreas Matthä: Für mich ist die Koralmbahn tatsächlich ein Jahrhundertprojekt – ein Meilenstein, der Geschichte schreibt. Sie wird nicht nur Regionen verbinden, sondern unser Leben bereichern – spürbar, weit über Österreich hinaus. 

Wann sind Sie das erste Mal durch den Tunnel gefahren? 

Am 11. Juni im Zuge einer Testfahrt.

Wie war das?

Es war für mich ein unvergesslicher Moment – ein Gefühl von Stolz und tiefer Dankbarkeit. Stolz, weil wir gemeinsam ein Projekt verwirklicht haben, das Maßstäbe setzt. Und dankbar, weil ich weiß, wie viel Leidenschaft und Einsatz tausende Menschen hineingesteckt haben.

Der Gütertransport läuft bereits. Eine erste Zwischenbilanz?

Zwischen 1. und 30. November sind bereits 232 Güterzüge über die neue Koralmbahn gefahren. Die neue Flachstrecke ermöglicht es, Züge mit höheren Lasten von zusätzlich 250 bis 280 Tonnen pro Zug zu transportieren. Auch die geringeren Steigungen auf der Strecke der Koralmbahn – 10 statt 16 Promille – sind im Sinne der Effizienz, weil so für die Fahrten weniger Energie verbraucht wird. Der Vorteil der neuen Flachstrecke zeigt sich bereits in den ersten Wochen: Knapp zehn Prozent der Züge fuhren mit einem Gewicht, das über die alte Strecke nur mit einer zweiten Lok zu befördern gewesen wäre.

Andreas Matthä
© o.K. Andreas Matthä, Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding AG

Der Cargo-Bereich der ÖBB konkurriert aber mit günstigeren Lkw-Transporteuren und schreibt rote Zahlen. 

Es stimmt, der Druck im Schienengüterverkehr ist derzeit europaweit groß – und das betrifft private wie staatliche Anbieter gleichermaßen. Wir haben eine ungewöhnlich lange industrielle Rezession, die Nachfrage ist schwach und gleichzeitig ist der Wettbewerb im Logistikmarkt hart. Dazu kommt, dass die Schiene strukturell benachteiligt ist: Uns treffen Baustellen, hohe Strompreise – während der Lkw vergleichsweise günstig unterwegs ist.

Was kann man dagegen tun?

Zum einen investieren wir stark in Digitalisierung und neue Angebote. Durch automatisierte und digitale Prozesse werden wir schneller, flexibler und kosteneffizienter und können so neue Kunden gewinnen. Zum anderen fehlen uns aber passende Rahmenbedingungen. Die Bahn ist zentral für Versorgungssicherheit und Klimaschutz, aber dafür braucht es ein leistungsfähiges, verlässlich verfügbares Netz. Wir brauchen ein europäisches Kapazitätsmanagement und mehr Mittel für den Ausbau und die Modernisierung des TEN-T-Netzes. Und ganz wichtig: faire Wettbewerbsbedingungen mit der Straße. Heute trägt der Lkw viele seiner Kosten nicht selbst. Wenn das Verursacherprinzip EU-weit umgesetzt wird, können wir den Wettbewerb ausgleichen.

Fahren wir als Gesellschaft da in die falsche Richtung, wenn zwar weiterhin die Verlagerung von der Straße auf die Schiene propagiert wird, es in der Realität aber genau andersrum läuft?

Wir können uns als Gesellschaft auf Dauer nicht leisten, dass der Großteil der Güter in Zukunft auf der Straße transportiert wird. Die Richtung stimmt aber: Österreich steht im EU-Vergleich beim Modalsplit sehr gut da – wir haben einen der höchsten Schienenanteile in Europa. Mit dem Rahmenplan haben wir ein starkes, langfristiges Instrument, das den Ausbau der Bahninfrastruktur verlässlich absichert.

Welche regionalwirtschaftlichen Effekte wird die neue Strecke bringen?

Österreichs zweitgrößter Ballungsraum entsteht. Damit zieht diese Region mit den Einzugsgebieten von deutschsprachigen Metropolen wie Berlin, Hamburg, München und Wien gleich. Die neue Verbindung bringt auch neue wirtschaftliche Impulse und Arbeitsplätze in der Region. Besonders bedeutend ist aber: Die Koralmbahn wird Teil des Ostsee-Adriatisches-Meer-Korridors, der Europa von Nord nach Süd verbindet und eine der wichtigsten Güterverkehrsrouten Europas darstellt. Dieser Korridor verbindet Wirtschaftsräume von der Ostsee bis zur Adria, stärkt Österreich als Logistikdrehscheibe für schnellere, effizientere Verbindungen in Richtung Häfen und Industriezentren und lässt Europa zusammenwachsen.

Wobei aber mit dem Semmering-Basistunnel noch eine Lücke in Österreich klafft.

Koralmbahn und Semmering-Basistunnel sind zweifellos Schlüsselprojekte, die diesen Korridor massiv aufwerten werden und die wirtschaftlichen Beziehungen der beteiligten Länder untereinander stärken werden. So wird es dank der Koralmbahn schon ab 14. Dezember in sechseinhalb Stunden von Wien nach Triest gehen, statt aktuell neun Stunden und 18 Minuten.

Was bedeutet die private Konkurrenz für einen Staatsbetrieb?

Wettbewerb auf der Schiene ist für uns nichts Neues. Mit der Koralmbahn entsteht ein deutlich attraktiveres Gesamtangebot, das allen Fahrgästen zugutekommt. Für uns als ÖBB ist das zusätzlicher Ansporn, unser Service weiter auszubauen und durch Qualität, Verlässlichkeit und Komfort zu überzeugen.

Apropos Komfort: Es scheint gröbere Hürden in Sachen überregionales Klimaticket zu geben, das in der Steiermark und Kärnten gilt. Verstehen Sie das Unverständnis von Bahnkunden?

Wir als ÖBB würden es begrüßen, wenn die beiden Verkehrsverbünde ein „2er-Ticket“ einführen. Es gibt hier auch positive Beispiele aus anderen Bundesländern.

Wie wirkt sich der staatliche Budget-Sparkurs auf die Ausbaupläne der ÖBB aus? Jährlich sollen ja bis zu 300 Mio. Euro weniger vom Bund kommen.

Der neue ÖBB-Rahmenplan stellt sicher, dass bis 2030 19,7 Milliarden Euro in den Ausbau des heimischen Bahnnetzes fließen. Wir bleiben also gut beschäftigt. Der aktuelle Rahmenplan wurde allerdings unter ökonomisch herausfordernden Vorzeichen und im Sinne der Budgetkonsolidierung erstellt. Das bedeutet, dass manche Projekte später oder über einen längeren Zeitraum hinweg umgesetzt werden. Sie wurden auf Abhängigkeiten zu anderen Projekten überprüft und dementsprechend auf der Zeitachse verschoben. Das betrifft etwa Maßnahmen im Ennstal.

Wie geht’s nach 2030 weiter?

Das Zielnetz 2040 wird getragen von der Vision, dass im Jahr 2040 auf dem heimischen Bahnnetz insgesamt 255 Millionen Zugkilometer im Jahr gefahren werden können. Das entspricht dem eineinhalbfachen Niveau der heutigen Verkehrsleistung.

Stand Lokomotivführer jemals auf Ihrer Bubentraum-Berufsliste?

Selbstverständlich, aber ich habe dann meine wahre Berufung beim Eisenbahnbau gefunden.


Portraitbild Andreas Matthä Zur Person
Andreas Matthä (63) ist seit 1982 bei den ÖBB beschäftigt. Ab 1986 war er in der Generaldirektion Brückenbau tätig. 2005 wurde er Prokurist und Geschäftsbereichsleiter für Controlling und Finanzen in der ÖBB-Infrastruktur. Seit 2016 ist der gebürtige Villacher Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding AG. 

Meilensteine

30 Jahre dauert die Planungsphase für die Koralmbahn. 1997 startet das Trassenauswahlverfahren.

4 Monate nach dem Spatenstich stoppt der Verwaltungsgerichtshof den Bau in Kärnten aufgrund einer fehlenden UVP.

2006 verkündet der damalige Verkehrsminister Werner Faymann eine spätere Fertigstellung des Tunnels: 2020 statt 2016.

2009 erfolgt der Baustart des Kor­almtunnels in der Steiermark. 2018 gelingt der Durchschlag.