Camerata: Aufeinander hören und in Beziehung treten
Geschäftsführer Andreas Bräunig gibt im SW-Interview Einblicke in die Arbeitsweise des Orchesters, das zumeist ohne Dirigenten spielt. Ein Modell, an dem sich auch klassische Unternehmen orientieren könnten, da altbewährte Führungsmodelle in Zeiten radikalen Wandels zunehmend an ihre Grenzen stoßen.
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Was unterscheidet die Camerata von anderen Orchestern?
Die Camerata ist als freies Orchester organisiert. Unsere Musikerinnen und Musiker sind nicht angestellt, sondern freie Künstlerpersönlichkeiten mit hohem Mitspracherecht – wir verstehen uns als „Mini-Demokratie“. Zwar plane ich gemeinsam mit einem künstlerischen Gremium die Programme, doch alle Orchestermitglieder haben Teilhabe und identifizieren sich stark mit dem Orchester. Das spürt man auf der Bühne und im Publikum. Auch im Probenprozess herrscht reger Austausch, jeder bringt sich aktiv ein. Letztlich ist es genau das, was man in modernen Managementbüchern liest, was aber selten konsequent umgesetzt wird – weder in klassischen Orchestern noch in vielen Unternehmen. Das erfordert auch Mut zum Konflikt.
Die Camerata spielt meist ohne Dirigenten. Warum?
Das hat historische und künstlerische Gründe. Gründer Bernhard Paumgartner sagte bereits damals: „Alles geschieht nach sorgfältiger Vorbereitung, mit hohem stilistischen Bewusstsein und der persönlichen Verantwortung eines jeden Einzelnen.“ Dieser Gedanke prägt uns bis heute. Auch zu Mozarts Zeiten dirigierte niemand im heutigen Sinn. Ohne Dirigenten zu spielen bedeutet, dass das Konzert vom Konzertmeisterpult aus geleitet wird. Jeder Musiker trägt Verantwortung, muss genau hinhören, kommunizieren und mitwirken – ähnlich einem Streichquartett. Die Hierarchie ist flacher, Führung verteilt sich auf viele Schultern, aber das Orchester bleibt keineswegs führungslos.
Was fordert dieses Modell von jedem einzelnen Orchestermitglied?
Persönliche Verantwortung, das heißt, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Exzellenz entsteht nur, wenn das Ensemble als Ganzes der Star ist und jeder weiß, wann er nach vorne tritt oder sich zurücknimmt. Diese Haltung erfordert Kommunikation, offene Augen und Ohren, Wissen um die Partitur und ein Gespür dafür, was die anderen spielen. Natürlich kann es einfacher sein, wenn jemand vorne exakte Anweisungen gibt – aber das kann auch hinderlich sein, wenn Eigenverantwortung und Motivation verloren gehen.
Könnte man von kollektiver Intelligenz sprechen, wie sie Organisationsentwickler Armin Ziesemer für Unternehmen fordert?
Absolut. Es geht um Menschen, ihre Bedürfnisse und Persönlichkeiten. Gute Führung bedeutet heute immer weniger, Macht auszuüben, und immer mehr, Beziehungen zu pflegen. Zuhören, verstehen, reflektieren – und erst dann antworten. Das klingt banal, ist aber selten. Diese Prinzipien gewinnen auch in Unternehmen zunehmend an Bedeutung.
Was bedeutet dieses Modell für die Konzertmeister, die Führungsebene im Orchester?
Sie müssen über außergewöhnliche künstlerische Expertise verfügen, soziale Kompetenz besitzen und gruppendynamische Prozesse spüren. Sie brauchen Fingerspitzengefühl: Wann lasse ich etwas laufen? Wann greife ich ein? Und sie müssen so kommunizieren, dass alle mitziehen, ohne sich zurückgesetzt zu fühlen. Hier ist Kommunikation alles.
Wie gestaltet sich darin Ihre Funktion als Geschäftsführer?
Ich leite die Camerata wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen – mit Büroorganisation, wirtschaftlicher Verantwortung und viel Moderation zwischen Stakeholdern und Musikern. Außerdem bin ich Bindeglied zum ehrenamtlichen Vorstand, der für Sponsoren und strategische Vernetzung unverzichtbar ist.
Was können Unternehmen von Ihrem Modell lernen?
Sie können lernen, als Gemeinschaft zu agieren und demokratische Strukturen Hierarchien vorzuziehen. Wenn die Stärken jedes Einzelnen gefördert werden, profitiert das gesamte Team. Echtes Zuhören ist dabei zentral – wie beim Musizieren, wo man andere wahrnimmt, sich zurücknimmt oder hervortreten kann, je nachdem, was dem Gesamtklang dient. Diese Kompetenzen brauchen auch Unternehmen, doch Gemeinschaftssinn als Erfolgsfaktor wird derzeit oft unterschätzt.
Was raten Sie Führungskräften?
Schauen Sie nicht nur auf fachliche Expertise, sondern vor allem auf soziale Kompetenzen. Erkennen Sie Stärken und Schwächen Ihrer Mitarbeiter und setzen Sie diese gezielt ein. Vertrauen Sie ihnen, und bestärken Sie sie darin, Ideen einzubringen und Verantwortung zu übernehmen – im Team ist es nicht wichtig, wer die Idee hatte, sondern welche die Beste ist. Diese setzt man dann gemeinsam um.
Haben Sie schon daran gedacht, Ihr Modell auch Unternehmen zu vermitteln?
Ja, das wäre ein spannendes Feld, das ich sehr gerne angehen würde. Es gibt bereits Unternehmen, die agil arbeiten, Führung von unten definieren und solche teilen. Workshops oder Probenbesuche könnten Unternehmen helfen, ihre Organisations- und Führungsformen weiter zu hinterfragen. Das wäre eine Win-win-Situation – auch als ergänzende Einnahmequelle neben dem klassischen Sponsoring.
Wie gelingt es der Camerata, wirtschaftlich erfolgreich zu agieren?
Indem wir trotz unserer fast 75 Jahre wie ein Start-up laufend neue Formate entwickeln und überlegen, wie wir unser Publikum begeistern können. Tourneen und Eigenveranstaltungen finanzieren sich wegen steigender Kosten kaum mehr allein durch Honorare und Ticketeinnahmen, da unsere Musikerhonorare nicht vorab öffentlich finanziert sind. Deshalb investieren wir stark in die Sponsorengewinnung.
Welche Sponsoring-Modelle bieten Sie an?
Die Palette ist sehr breit: Von Logo-Placements in Publikationen über Konzertbesuche bis zu exklusiven Events mit unseren Künstlern. Auch internationale Tourneen sind attraktive Plattformen für Sichtbarkeit und Image. Aktuell suchen wir einen neuen Proberaum – eine „Klangwerkstätte“.
Die Camerata Salzburg zeigt eindrucksvoll, wie ihre besondere Organisations- und Führungsform zu einem einzigartigen Gesamtergebnis führt.

Andreas Bräunig
Geschäftsführer